Seit mehr als einem Jahr leben wir nun alle mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie, oder besser gesagt mit den „Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie“: Kontaktminimierung, Abstandsregelung, Maskenpflicht, einige – darunter die komplette Landtagsfraktion – sind im Homeoffice. Abseits von Landtagssitzungen und Ausschusssitzungen finden alle Termine der Fraktion seit März 2020 digital statt - zuerst per Telefonkonferenz, seit mehreren Monaten per Videokonferenz.

Was anfangs noch etwas zeitliche Entspannung aufgrund weggefallener Fahrzeiten verschaffte, entwickelte sich ab Mai 2020 zu einer zunehmenden Belastung, die bis heute anhält. Jede noch so kleine Absprache, die in der Vergangenheit mit einem schnellen persönlichen Gespräch geklärt werden konnte, ist nun ein eigener Arbeitsgang mit eigener Konferenzschalte. Der Termin muss im Vorfeld vereinbart werden, oft getaktet zwischen mehreren anderen Telefon- und Videokonferenzen. Es verkomplizieren sich Arbeitsgänge. Die so hoch gelobte Technik, die das Arbeitsleben erleichtern soll, erschwert es – aus meiner Sicht – mittlerweile.

Dies auch deswegen, da alle davon ausgehen, man sei ja, da „im Homeoffice“, zu jeder Tages- und Nachtzeit für Video- oder Telefonkonferenzen erreichbar, jederzeit könne man sich zu Absprachen zusammenschalten, jederzeit sei alles möglich. Und so trudeln während und zwischen den Video- und Telefonkonferenzen auf allen möglichen digitalen Kanälen täglich hunderte Nachrichten ein. So waren es allein am 6. April bis 15.30 Uhr 972 E-Mails, 71 SMS- und 53-Signal-Nachrichten. WhatsApp, Telegram, Twitter, Facebook, Instagram und weitere sind noch gar nicht mit einberechnet. Eine Flut von Nachrichten. Nicht jede ist wichtig. Aber um die wichtigen herauszufiltern und weiter zu bearbeiten, ist es notwendig, alle zu überfliegen. Das allein kostet täglich mehrere Stunden zusätzlicher Arbeitszeit.

Ich sehne die Zeit herbei, in der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht mehr notwendig sein werden, weil uns dies gelungen ist. Ich sehne sie nicht nur herbei, um endlich wieder mit Freund_innen und großer Familie Zeit verbringen zu können, auf Festivals sein zu können, ohne Sorge anderen Menschen nahe zu kommen, sondern auch in der Hoffnung, dass die Flut an Nachrichten und Informationen sich etwas reduziert, dass nicht jede Absprache eine eigene Konferenz benötigt, nicht jeder Austausch eine eigens vorher abgesprochene Zeit, dass wir wieder im spontanen Miteinander politische Ideen entwickeln können oder auch lachend feststellen, wie schlecht eine Idee war, ohne ihr extra Zeit in extra digitalen Räumen zu widmen.

Diese seit einem Jahr bestehende Daueranstrengung führt zu Konstellationen, die im „normalen Leben“ nicht möglich gewesen wären: nach einer Präsenzsitzung im Landtag bin ich während der Rückfahrt bei der digitalen Sitzung des Kreisvorstandes Saalfeld-Rudolstadt zugeschaltet, um – in Jena angekommen – an einer online-Veranstaltung, bei der ich auf dem Podium sitze, teilzunehmen und anschließend daran mit mehreren Leuten aus unterschiedlichsten Städten zu besprechen, wie sich die Situation Geflüchteter, die in den Elendslagern in Griechenland harren, verbessern lässt. Effizient würden manche sagen. Ich nenne es mittlerweile enorm belastend. Die Pandemie lässt kaum Regenerations- und Erholungsphasen zu. Da gleichzeitig keinerlei Entspannung, sondern gar eine Zunahme rechter und rechtsoffener Aktivitäten stattfindet, sind sogar Abschaltmomente ausgeschlossen, will man „up to date“ bleiben.

Ja, ich sehne die Zeit nach der Corona-Pandemie herbei. Um dem Rhythmus des Dauerhaften zu entkommen, um der ständigen digitalen Verfügbarkeit zu entkommen, um mit Menschen von Angesicht zu Angesicht, in manchmal bestimmt auch langweiligen Treffen zu sitzen, aber in dem Wissen, dass man danach nicht zum nächsten Termin in einen anderen digitalen Raum wechselt, sondern miteinander ausklingen lässt und abschaltet.

Ja, ich glaube das trifft es: ich vermisse das Ausklingen.