Gnade uns Gott!
Gnade uns Gott!
Der ehemalige Leibwächter bin Ladens, Sami A., war am 13. Juli in seine tunesische Heimat abgeschoben worden, obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Vorabend die Unzulässigkeit der Abschiebung entschieden hatte. Eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung war ihm nämlich in Deutschland bisher nicht nachweisbar. Möglicherweise hat die Staatsanwaltschaft schlampig gearbeitet. Jedenfalls hat die Exekutive hier offensichtlich rechtswidrig gehandelt. Das an sich wäre nichts Neues, so etwas kann vorkommen. Neu ist aber womöglich (und das hoffen wir!), dass die abschiebende Behörde diese Aktion wissentlich entgegen einer ergangenen Gerichtsentscheidung unternommen hat. Zunächst einmal hätte die Behörde die Gerichtsentscheidung abwarten müssen. Aber diese Entscheidung war bereits ergangen. Doch selbst wenn die Behörde in Unkenntnis dieser Entscheidung und also im Irrtum gehandelt hätte, wäre ein Abbruch der rechtswidrigen Abschiebung noch möglich gewesen. Das Flugzeug, in welchem sich Sami A. befand, hätte nämlich noch zurückgerufen werden können. Und damit hat die Behörde wissentlich rechtwidrig gehandelt.
Man kann zu Sami A. stehen wie man will. Aber es ist untragbar, dass die Exekutive sich über die Jurisdiktion hinwegsetzt. Die Exekutive ist in unserem Staat diejenige Institution, welche die ausführende Gewalt innehat. Sie kontrolliert Polizei und Militär. Wenn die Exekutive sich über Legislative und Jurisdiktion wissentlich hinwegsetzt, dann gibt es dafür einen Fachausdruck: Faschismus.
Auch zu Wolfgang Kubicki kann man stehen wie man will. Aber wo er recht hat, hat er recht. Wolfgang Kubicki hat an der rechtswidrigen Abschiebung heftige Kritik geübt und gesagt, wenn die Behörden hier in eigener Machtvollkommenheit gehandelt hätten, wie sie niemals hätten handeln dürfen, dann läge der Verdacht nahe, dass sie so auch in anderen Fällen handeln würden. „Wenn wir dazu übergehen, dass Politiker statt Gerichte darüber entscheiden, wie Recht und Gesetz ausgelegt werden sollen, dann gnade uns Gott“, niemals dürfe das geschehen, denn „alles andere wäre ja ein Willkürstaat“, sagte Wolfgang Kubicki (Deutschlandfunk 28.07.2018). Und damit hat er eben leider Recht!
Also ein Willkürstaat, denn es ist schließlich „etwas anderes“ geschehen, oder war das ein Versehen? Ich möchte behaupten, dass dies bisher kein Einzelfall war, auch wenn es noch nie eine derartig brisante Entgleisung einer deutschen Behörde gegeben hat. Ich befürchte: es ist eben nicht neu! Auch Kubicki legte nach: „Wir hören jetzt ja, dass in Berlin ein Landgericht glaubt, dass die Polizei einen Mord hat geschehen lassen, um einen Rockerboss dingfest zu machen.“
Ob Sami A. ein Terrorist ist oder nicht, das wissen wir nicht. Also müssen wir ihn behandeln, als sei er eben keiner. Im Strafrecht gilt schließlich immer noch die Unschuldsvermutung.
Es gab einmal einen Staat, von dem immer alle reden und von dem alle versichern, dass so etwas niemals wieder geschehen darf. Damals, in diesem Staate, richtete sich der Hass und die Verfolgung gegen eine Minderheit, die angeblich das ganze Desaster, in dem sich das brave, anständige und fleißige deutsche Volk befand, zu verantworten hatte. Dieser Staat hatte sich damals entschlossen, die angeblich Verantwortlichen willkürlich zu verfolgen, zu entrechten und zu vernichten. Heimlich auf leisen Sohlen hat sich dieser Staat wieder eingeschlichen. An eindrucksvollen Denkmälern, ewigwährenden Beteuerungen und frommen Reden vorbei. Heute sind es angeblich andere Minderheiten, die dem braven, anständigen und fleißigen Volk den Erfolg vereiteln, ihre Frauen vergewaltigen und ihre Autos und ihre Arbeitsplätze stehlen: Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, Einwanderer, Sinti und Roma. Kann man da denn tatenlos zusehen?
Sie können durchaus anständige, nette Leute sein. Gewiss. Aber für sie gilt nicht die allgemeine Unschulds- bzw. Rechtmäßigkeitsvermutung wie für „normale“ Bürger. Wenn ein normaler Bürger, vielleicht ein selbständiger Arzt, Rechtsanwalt, Taxiunternehmer oder Bäcker, etwas will, etwa eine Steuerrückzahlung wegen Überzahlung von Mehrwertsteuer, dann legt er eine Steuererklärung vor und – schwuppdiwupp – bekommt er die überzahlte Mehrwertsteuer vom Finanzamt zurück. Ohne weitere Nachweise, die Steuererklärung genügt. Für ihn gilt die allgemeine Vermutung, dass seine Erklärung rechtmäßig ist und nur in Ausnahmefällen wird die Finanzbehörde Nachforschungen anstellen und ihm möglicherweise einen Gesetzesverstoß nachweisen. Dann ist er dran. Nicht so beim arbeitslosen Hilfeempfänger. Der nämlich muss von Anfang an nachweisen, dass er in seinen Angaben nicht geschummelt hat. Und wenn die Behörde Zweifel hat, dann gibt es nichts aufs Konto. Nachforschungen sind nicht nötig. Hier ist es also umgekehrt wie bei „normalen“ Bürgern. Seine Erklärung ist a priori suspekt, während die Steuererklärung des Bäckers a priori korrekt ist.
Es gibt in unserem Lande zweierlei Menschen; diejenigen, denen wir von vorneherein glauben und die, denen wir von vorneherein misstrauen. Den einen stehen Vertrauensrechte zu, den anderen nicht. Und dieses Misstrauen hat nichts mit vorangegangenem gesetzwidrigem Handeln zu tun, sondern mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Menschen oder Bürgern. Ärzten, Rechtsanwälten, Taxiunternehmern oder Bäckern traut man – Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern, Einwanderern, Sinti und Roma jedoch nicht. Rassismus nennt man das, auch wenn es eigentlich nicht immer um „Rassen“ geht.
Doch die willkürliche Verfolgung von Minderheiten ist nichts spezifisch Deutsches. In den Vereinigten Staaten, dem großen Vorbild unserer Demokratie, sind es Schwarze und Mexikaner, die das nationale Misstrauen auf sich ziehen. Wir befinden uns also in bester Gesellschaft.
Um es noch einmal hervorzuheben: es geht hier nicht darum, einen Terroristen zu entlasten. Aber wenn man Sami A. oder wem auch immer nichts Rechtswidriges nachweisen kann, dann ist er eben auch kein Terrorist. Nicht für einen Rechtsstaat. Misstrauen alleine genügt nicht. Nicht einmal, wenn es nachvollziehbar wäre. Es wäre allemal besser, einen mutmaßlichen Verbrecher laufen zu lassen, auch wenn weitere Straftaten von ihm ausgehen können, als die Grundpfeiler unseres Staatswesens anzusägen.
Staatsorgane haben sich vorbildlich zu verhalten. Wo wir als Bürger rechtmäßig handeln, haben sie besonders rechtmäßig zu handeln, wo wir gerecht sind, müssen sie besonders gerecht sein, wo wir Großmut zeigen, müssen sie besonderen Großmut zeigen. Wo wir misstrauisch sind, haben sie Beweise zu liefern. Dieses Verhältnis darf sich niemals, aber auch wirklich niemals, umkehren! Denn der Staat, das sind wir, wir alle, und so gesehen ist diese Forderung eigentlich eine Frage der Selbstachtung. Jawohl, der Staat, das sind wir alle, auch wenn dieses Thema bei den Staatsrechtlern heiß diskutiert wird. Aber wer, wenn nicht das Volk, soll in einer Demokratie der Staat denn sein? Und wenn nicht eine Volksherrschaft, was kann denn eine Demokratie dann sein?
Nach dem 2. Weltkrieg ist uns ein freiheitlich-demokratisches, rechtsstaatliches, in vieler Hinsicht aber vielleicht doch etwas halbherziges Grundgesetz verpasst worden, das viele großartige Regeln von Rechten enthält. Leider aber gibt es zu jeder dieser großartigen Regeln eine ganze Liste von Ausnahmen. Diese Ausnahmen finden sich entweder im Gesetz selber oder wurden von der Rechtsprechung entwickelt. Das gilt natürlich auch für die Regel der Rechtsstaatlichkeit. Ein Novum allerdings wäre es, wenn solche Ausnahmen nun auch von der Verwaltung, von der Exekutive also, hinzugefügt werden könnten. Zur Exekutive aber zählen wir auch die Polizei. Es sind also nur noch ein paar Schritte in den Sumpf. Dementsprechend rügten Richter die Aktion als „grob rechtswidrig“ (Zeit-online) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat die Behörde ermahnt, sich nicht über die Gerichtsentscheidung hinwegzusetzen.
Ermahnt! Meine Güte, ist es denn schon so weit gekommen, dass die Gerichte gesetzwidrig handelnde Behörden ermahnen müssen? Und ist das auch schon alles, was sie tun können? Ermahnen? Gnade uns Gott!
DIE LINKE. Thüringen Presseerklärungen
Preisverleihung Käte-Duncker-Frauenpreis 2023
DIE LINKE. Thüringen verleiht erstmalig den Käte-Duncker-Preis an Frauen und feministische Projekte als Zeichen der Solidarität, Würdigung und Ermächtigung für den gemeinsamen Kampf hin zur Vollendung der Gleichstellung und Teilhabe von Frauen. Käte Duncker steht für die Verbindung von Feminismus und denKampf um ein politisches System, bei dem nicht Profite, sondern die Menschen im Mittelpunkt stehen. Sie wurde 1920 in den Thüringer Landtag gewählt und setzte sich für die politische und…